Verborgene Klimabotschaft

Mural in Bonn erfordert genaues Hinsehen

Blogbeitrag von Anne Brems, Studentin der Kunstgeschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Werk:2,7 Grad“ - Interpretation eines Gemäldes von Johannes Lingelbach mit dem Titel "Rast vor einer Schenke in südlicher Landschaft". 

Street-Art-Künstler versteckt Klimabotschaften in seinem Werk! Das großflächige Wandgemälde 2,7 Grad von Case Maclaim beinhaltet mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist und erfordert das Verständnis für seine subtilen Hinweise...

Im geschäftigen Treiben der Bonner Südstadt verbirgt sich ein bemerkenswertes Kunstwerk, dessen wahre Botschaft sich nur den aufmerksamsten Betrachtern offenbart. 2,7 Grad lautet der Titel – der leider nur im Internet zu finden ist – des großen Wandgemäldes, mit dem der Künstler Case Maclaim die bedrohlichen Folgen des Klimawandels aufzeigen möchte (Abb. 1).

Die Folgen des Klimawandels

Das großflächige Wandgemälde im Bonner Talweg 8 zeigt eine Landschaft in goldenem Licht, das der erste Hinweis auf den Klimawandel ist, denn durch diese Farbgebung unterscheidet es sich deutlich von der idyllischen, pastellfarbenen im Originalwerk aus dem 17. Jahrhundert. Das gleißende Licht hinter dem Berg und die gold-orangene Farbgebung verdeutlichen die unerträgliche Hitze durch die Erderwärmung und deuten einen Waldbrand an. Im grauen Schatten einer Hausruine ruht sich eine Männergruppe aus. Sie trinken und musizieren, währen einer in der Sonne tanzt. Die Erde unter ihm ist trocken und rissig wie in den Dürreregionen. Nicht nur die Erdschollen, sondern auch die beladenen Esel rufen Assoziationen mit Klimawandel und daraus resultierender Flucht der Menschen in lebenswertere Regionen hervor (Abb. 2).

Neuinterpretation eines historischen Gemäldes

Bei dem Mural 2,7 Grad handelt es sich um die Neuinterpretation eines historischen Gemäldes: Rast vor einer Schenke in südlicher Landschaft (Abb. 3) wurde von dem deutsch/niederländischen Künstler Johannes Lingelbach (1622-1674) gemalt. Case Maclaim interpretiert dieses Werk neu, indem er Elemente des Klimawandels einführt und so eine zeitgenössische Perspektive schafft.[1] Doch wie gelingt ihm das?

Ein Projekt für die Jugend und die vergessene Kunst

Das Mural ist Teil des Projektes Walls of Vision der Dr. Hans Riegel-Stiftung, durch das schon zahlreiche Wandbilder in Bonn und anderen deutschen Städten entstanden sind. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Wahl der Vorlage gut nachvollziehen, denn das Gemälde von Lingelbach gehört zu der Kunstsammlung von Hans Riegel.[2] Doch erreicht 2,7 Grad sein Ziel, junge Menschen für die Kunst zu begeistern und gleichzeitig auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen?

Der erste Eindruck des Murals weckt vermutlich nicht die Neugier der Jugendlichen. Da Case Maclaim nah an seiner Vorlage bleibt, wirkt das Wandgemälde zuerst altmodisch. An dem Talent des deutschen Street-Art-Künstlers Case Maclaim liegt der altertümliche und steife Stil von 2,7 Grad nicht. In zahlreichen deutschen Städten und im Ausland sprühte Case Maclaim großflächige Bilder an die Wand.5 Die meisten seiner Werke unterscheiden sich grundlegend von 2,7 Grad. Viele zeigen fotorealistische Hände in Bewegung (u. a. in Wuppertal) oder Menschen, die einen mit ihrem intensiven Blick oder ihrer Bewegung in ihren Bann ziehen.[3] In Bonn dagegen spricht das bäuerliche Landschaftsmotiv mit den schwerfälligen Figuren und die bräunliche Farbigkeit des Werkes nicht eine junge Generation an. Diese ist durch das Internet an eine ganz andere Bildsprache gewöhnt und schenkt dem Mural somit vermutlich wenig Beachtung. Das ist schade, denn das Thema des Werkes ist wichtig und betrifft uns alle. 2,7 Grad will uns auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen: Es zeigt Hitze, Waldbrand, Dürre und Flucht. Doch leider wird dies nicht direkt deutlich, denn erst wenn man den Titel des Murals kennt, erkennt man die Bildelemente, die auf den Klimawandel hindeuten. Andere Street-Art-Werke wählen eine offensivere Bildsprache.

Das Thema des Klimawandels wird in der Street-Art häufig aufgegriffen. Beispielsweise sprayte Banksy 2009 „I don’t belive in global warming“ (Ich glaube nicht an die Erderwärmung) mit roten Buchstaben, die fast im Londoner Regent’s Canal versinken. Die klare Botschaft lautet: Selbst wenn man den Klimawandel leugnet, findet er dennoch statt.[4] Als weiteres Beispiel seien hier die kleinformatigen Wandbilder von SeiLeise zu nennen, die u. a. in Köln zu finden sind und Kinder mit zerstörten Weltkugeln zeigen.[5] Bei Banksy und SeiLeise ist die Botschaft direkt ersichtlich vermittelt, während die Warnung bei dem Mural 2,7 Grad subtiler ist und sich deshalb nur den aufmerksamen Betrachtern offenbart.

Abschließend bleibt die Frage offen, ob 2,7 Grad seinem Anspruch gerecht wird, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen und dabei zeitgemäß zu sein. Trotz der kritischen Anmerkungen bleibt das Werk ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Rolle von Kunst im öffentlichen Raum und die Herausforderungen, vor die uns der Klimawandel stellt.

Anmerkungen:

[1] Dr. Hans Riegel Stiftung: Walls of Vision – „2,7 Grad“ – Case Ma’Claim interpretiert Johannes Lingelbach in Bonn, URL: https://www.wallsofvision.de/bisherige-werke/2-7-grad-case-interpretiert-johannes-lingelbach, [Abruf: 25.02. 2024]

[2] Kaiserschil-Stiftung: Die Kunstsammlung der Kaiserschild-Stiftung, URL: https://www.kaiserschild-stiftung.at/kunstsammlung, [Abruf: 25.02.2024]

[3] Urban Nation. Museum for urban contamporary art: Case Maclaim, URL: https://urban-nation.com/de/artist/case-maclaim/, [Abruf: 25.02.2024]

[4] Haarbach, Madlen: Street Art und Klimakrise. Reicht es, wenn das Werk eine Botschaft hat?, in: Tagesspiegel, 31.03.2023, URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/street-art-und-klimakrise-reicht-es-wenn-das-werk-eine-botschaft-hat-9585758.html, [Abruf: 25.04.2024]

[5] Verliebt in Köln: Street Art in Köln: Die SeLeise-Route zwischen Deutz und Mühlheim, 30.09.2021, URL: https://verliebtinkoeln.com/streetart-koeln-tour-seileise/, [Abruf: 25.2.02024]