Sogni – Offenbach erträumt ein Stadt-Bild

Vision trifft Realität

Blogbeitrag von Enora Marie Pfahl, Studentin der Kunstgeschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Für mich hat Street Art einen verbindenden Charakter, da sie für alle zugänglich ist. Sie zaubert Farbe in unseren Alltag. Das Fassadenbild Sogni in Offenbach, mit dem ich mich näher beschäftigt habe, beeindruckt mich durch seine monumentale Größe und besonders den starken Blick der Frau.

Werk: „Sogni di Offenbach“ - Interpretation des historischen Gemäldes „Sogni“ (Träume) von Vittorio Matteo Corcos 

Dass Street-Art das Stadtbild nicht nur verschönert, sondern auch einen Beitrag zu aktuellen Diskussionen leistet, zeigt das Mural Sogni in Offenbach. Doch welche Botschaft will dieses Bildnis einer selbstbewusst wirkenden Frau an den Passanten vermitteln?

Sogni – Ein künstlerischer Blickfang

Das großflächige Wandgemälde des bekannten Streetart-Künstlers Case Maclaim wurde im April 2022 in Offenbach-Nordend, in unmittelbarer Nähe des Hafenviertels, realisiert (Abb. 1), initiiert vom Offenbacher Kulturmanager Kai Schmidt. Das Fassadenbild zeigt eine junge Frau, gehüllt in ein fließendes, grün schimmerndes Kleid, das sich von der rötlich-braunen Bank abhebt. Den Kopf auf die Faust gestützt, schaut sie die Passanten von oben herab an: ihrem selbstbewussten Blick entgeht nichts. Mit einer Mischung aus Autorität und Anmut beherrscht sie den Ort. Ihr Porträt knickt sogar um die Kante der Fassade. Dieses 100qm² große Kunstwerk ist eine Neuinterpretation des Gemäldes Sogni (Träume) des Malers Vittorio Matteo Corcos (1859-1933) aus dem 19. Jahrhundert.

Vorbild und Nachbild

Kaum jemand in Offenbach dürfte die historische Vorlage (Abb. 2) kennen! Sie stammt vom italienischen Porträtmaler Vittorio Matteo Corcos, der für elegante Damenbildnisse bekannt war. In Sogni porträtierte er Elena Vecchi, die Tochter eines Freundes. Sein Bild verursachte einen Skandal, denn die Darstellung einer selbstbewussten Frau brach mit der Tradition und war in seiner Zeit völlig ungewohnt.[1]

Offenbachs Traum vom neuen Stadtbild

Offenbach verbindet man selten mit Kunst und Kultur. Die Stadt hat wegen des hohen Ausländeranteils und einer hohen Kriminalitätsrate leider einen eher schlechten Ruf. Dem negativen Image soll mit Kreativität entgegengewirkt werden. Durch Initiativen wie die Kooperation mit der Dr. Hans Riegel-Stiftung strebt die Stadt an, positive Eigenschaften zu betonen und nach außen zu vermitteln.[2] Kann Offenbach eine Stadt der Träume sein? Murals können dabei helfen. Dem Beispiel Mannheim folgend, strebt das Stadtmarketing an, Offenbach in einen Hotspot der Straßenkunst zu verwandeln.

Eine lesende Offenbacherin?

In Corcos' Werk Sogni wird das Thema der lesenden Frau durch die achtlos abgelegten Bücher auf der Bank aufgegriffen. Entscheidend ist, dass Elena Vecchi nicht lesend dargestellt ist. Dadurch wird der als intim empfundene Moment, in dem eine Person in ihre Lektüre vertieft ist und unbemerkt beobachtet werden kann, aufgelöst.[3] Die selbstbewusste Frau blickt den Betrachtenden in die Augen und ist somit Herrin der Situation. Dies kann als Zeichen für Widerstand, Stärke und Mut interpretiert werden – Eigenschaften, die auch auf das Bestreben der hessischen Stadt übertragbar sind, sich als kreative Stadt zu etablieren.

Im Mural sind an die Rückenlehne der Bank mehrere Graffiti angebracht (Abb. 3). Maclaim fügt seinem Werk Wörter wie ‚Breath‘, ‚Bad‘ und ‚Maske‘, sowie eine Anspielung auf die Street-Art-Gruppe Naxosbande hinzu. Ein auffälliges Graffiti zeigt einen Verweis auf eine AK-47. Somit schafft der Künstler hier einen klaren Bezug zur kriminellen Reputation der Stadt. Diese Interpretation wird durch hinzugefügte Einschusslöcher in der Wand weiter unterstrichen. So thematisiert das Wandgemälde Kriminalität und soll gleichzeitig dazu beitragen, dass sich Offenbach von seinem schlechten Ruf löst.

Der Traum von der besseren Stadt, bald!

Welches Potenzial hat Street-Art für Offenbach? Ob Sogni tatsächlich als Weckruf für die gesamte Stadt fungieren kann, bleibt abzuwarten. Das Mural hat jedoch gezeigt, welches Potenzial in solchen Projekten steckt, um Stadtteile zu beleben und neue Impulse zu setzen. Es verkörpert das Ziel Offenbachs, den kreativen Geist der Stadt weiter zu stärken und nach außen zu tragen. Eines ist sicher: Von nun an steht Offenbach unter strenger Beobachtung der großen Dame vom Nordring!

Anmerkungen:

[1] Vgl. Poggioli-Kaftan 2022, S. 410.

[2] Die Informationen stammen aus einem Interview, das die Autorin dieses Textes am 19.02.2024 mit dem Offenbacher Kulturmanager Kai Schmidt führte.

[3] Vgl. Scavo 2021.

Literatur und Internetquellen:

Poggoli-Kaftan 2022

Poggioli-Kaftan: Representing Women’s Displacement from the Margins in Giordana Liberal Italy: Vittorio Corcos’s Annunciazione (1904) and Sogni (1896), in: Italian Studies 77, 2022, S. 400-415

Scavo 2021

Gianna Scavo: Pleasure, privacy and power: reading women throughout art history, 2021, URL: https://artuk.org/discover/stories/pleasure-privacy-and-power-reading-women-throughout-art-history [Abruf: 24.02.2024]