Achtung, Steinschlag!

Bergsteigen und Kunst in der Symbiose

Blogbeitrag von Hannah Jacoby, Studentin der Kunstgeschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Werk: „ups and downs“ – Der Aufstieg 4.0 - Interpretation von „Der Aufstieg“ vom Schweizer Künstler Ferdinand Hodler

Baseclimb-Schlingen gab es zur Zeit Ferdinand Hodlers wohl kaum. Umso spannender ist es, wenn drei Berliner Künstler das Bergsteiger-Motiv des Schweizer Künstlers neu interpretieren.

Mit dem Mural Ups and Downs (Abb. 1) beweist das Berliner Künstlerkollektiv Innerfields, dass vermeintlich ‚angestaubte‘ Kunstwerke auch jüngere Generationen erreichen können. An der Fassade der Freiherr-vom-Stein Realschule in Düsseldorf wurde dieses Vorhaben umgesetzt. Dabei war es den Künstlern wichtig, dass das Mural in ein modernes Umfeld hineinpasst und den ästhetischen Vorstellungen der Schüler*innen entspricht. Indem sie Ferdinand Hodlers (1853-1918) 1894 entstandenes Monumentalgemälde Der Aufstieg (Abb. 2) rezipieren und auf unsere Zeit anpasst, schlägt die Düsseldorfer Neuinterpretation eine Brücke, die das 19. Jh. mit unserer Zeit verbindet.

Die Themen und Motive Ferdinand Hodlers

Wenn Ferdinand Hodler die Natur malte, dann tat er das vorwiegend ohne die Darstellung von Menschen. Dies galt jedoch nicht für das Motiv des Bergsteigens, das in seinem Œuvre vorkommt. Den Schweizer Künstler faszinierte wohl das Kräftemessen von Mensch und Berg, das Über-sich-Hinauswachsen, die unbeirrbare Willenskraft, die es dazu erfordert und der menschliche Zusammenhalt, der essenziell für das Überwinden solch großer Hürden ist. All diese Themen werden in seinem Werk Der Aufstieg dargestellt.[1]

Die vertikal verlaufende Kompositionslinie verleiht dem Werk eine aufstrebende Bewegung und sorgt für eine besonders starke Dynamik im Bergsteigermotiv. Gleichzeitig werden die Schwere und der Kraftaufwand, die mit der körperlichen Anstrengung aufkommt, gezeigt. Das Stichwort „gemeinsam“ spielt in Der Aufstieg eine wichtige Rolle. Der Zusammenhalt wird besonders bei der Dreiergruppe dargestellt, die sich unten links im Bild befindet. Aber auch die drei Bergsteiger, die sich oberhalb dieser Gruppe aufhalten, zeigen, dass jeder in der Gruppe für die Botschaft des Bildes eine wichtige Funktion hat. So wird die Bewegung der Bergsteigergruppe durch den Gruppenanführer visuell nach oben geführt. Mit den zwei Figuren, die sich unmittelbar darunter befinden, werden das gegenseitige Vertrauen ineinander und die Wichtigkeit des gegenseitigen Absicherns zur Schau gestellt.[2]

Kunst zugänglich gestalten

Damit diese kraftvolle Bildsprache des historischen Monumentalwerks auch auf ein Mural im schulischen Umfeld passen kann, mussten diese brutal wirkenden Kräfte abgemildert werden, erklärt das Berliner Künstlerkollektiv Innerfields im Interview.[3] Aber es geht bei Weitem nicht nur darum, ein Werk ‘jugendgerecht’ zu verpacken. Viel wichtiger ist es der Künstlergruppe gewesen, die Thematik des Bildes an die zeitgenössischen Sehgewohnheiten der Schüler*innen anzupassen. Und das stellen die drei Berliner äußerst geschickt an.

Im Gespräch im Januar 2024 verraten sie, dass sie sich zuerst mit dem Bildinhalt des Originalwerks beschäftigten. Auf den ersten Blick mag der Bildinhalt des Schweizer Originalwerks schwer in einen anderen Kontext übertragbar sein. Bei näherer Auseinandersetzung mit dem Bildprogramm wird jedoch klar, dass durchaus viele Themen enthalten sind, die auch die Jugend unserer Zeit betreffen. Die Idee, sich als Mensch großen Herausforderungen stellen zu wollen, bleibt zentral. Wie diese Hürden jedoch heute aussehen, wurde von dem Künstlerkollektiv überarbeitet. Die größten Herausforderungen der Schüler*innen liegen somit, ihrer Meinung nach, in der digitalisierten Welt.

Dolmetschen zwischen zwei Zeitaltern

Das Matterhorn wird im Düsseldorfer Mural in eine verpixelte Felswand verwandelt, auf der sich, wie im Original auch, sechs Figuren hochziehen. Nur handelt es sich beim Mural um sechs Schüler*innen der Düsseldorfer Freiherr-vom-Stein-Realschule. Die Künstler erklären im Gespräch, dass es ihnen stets wichtig ist, sich in ihrer Arbeit so nahe am gegebenen Umfeld zu bewegen, wie möglich — davon ist die enge Zusammenarbeit mit Menschen vor Ort ein wichtiger Bestandteil. Für sie repräsentieren die Pixel den Aufstieg der digitalen Welt, in der sich die Schüler*innen zunehmend bewegen. Vor allem in der Corona-Pandemie nahm die Digitalisierung überhand im schulischen Alltag der Jugendlichen.

Die Digitalisierung mag viel Positives mit sich bringen, mit ihrem Mural möchte Innerfields jedoch auch auf die Gefahren und Hindernisse, die im Netz warten, aufmerksam machen. In ihrer Neuinterpretation zeigen sie, dass es besonders in schweren Situationen wichtig ist, gemeinsam zu arbeiten und sich gegenseitig zu helfen. Hodlers Figuren zeigen genau diesen Zusammenhalt, dessen es in solchen Momenten bedarf. Daher wurden die Schüler*innen in der Neuinterpretation in den gleichen Positionen dargestellt. Unten links ist die gleiche Personengruppe zu sehen, bei der zwei einem Dritten hoch helfen. Oberhalb davon ist wiederum die Sicherungsszene zwischen zwei Schülern wiederzuerkennen sowie auch die vorangehende Figur, die vorausschauend die Kletterroute abzusichern scheint.

Also übernimmt auch hier, genau wie in Hodlers Werk, jede Person eine individuelle Rolle, sowohl in der Gruppe als auch im Bild. Die Figuren in der Dreier-Konstellation bringen eine gewisse Schwere mit in den unteren Abschnitt des Murals hinein. Abgesehen von dieser Konstellations-Entscheidung wird mit diesen drei Figuren aber auch der Zusammenhalt zwischen Hilfsbedürftigen und Hilfsbereiten gezeigt.

Eine zeitgenössische Bildsymbolik

Im Werk Innerfields klettern die Schüler*innen im Raum des Internets herum und erforschen seine schier unendlichen Möglichkeiten. Die Schoner, Helme und Sicherungsausrüstung zeigen jedoch, dass dies gewisser Schutzmaßnahmen bedarf, vor allem bei jungen Menschen. Im Interview betonen die drei Künstler, dass man viel im Internet erleben kann, jedoch auch sehr schnell tief fallen kann. Eine Anspielung auf das Pendant des Aufstieg-Gemäldes, welches den Titel Der Absturz trägt.[4]

Auch der Titel Ups and Downs spielt auf Absturz an. Die Künstlergruppe beschreibt den Titel im Gespräch als einen psychologischen Begriff, der auf die Likes auf Social Media Plattformen abzielt. Likes können rapide ansteigen und genauso schnell wieder abstürzen, was vor allem auf jugendliche Nutzer einen großen psychischen Einfluss haben kann.

Innerfields Neuinterpretation zeigt, dass die Themen des Originalwerks zeitlos sind. Sie mussten lediglich an den zeitgenössischen Blick angepasst werden. Dem Berliner Künstlerkollektiv ist bewusst, dass sich die Schüler*innen mit den Herausforderungen des Bergsteigens wohl kaum identifizieren können. Indem sie die Bildsprache verändern, den Bildinhalt aber unberührt belassen, zeigen sie jedoch, dass sich die Sorgen der Schüler*innen gar nicht mal so stark von denen unterscheiden, die vor 130 Jahren in Hodlers Werk festgehalten wurden.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Müller 1934.

[2] Vgl. Müller 1934.

[3] Die Autorin dieses Beitrags führte das Interview mit dem Künstlerkollektiv am 1.10.2024.

[4] Von den beiden Monumentalgemälden (je 28m²) sind nur Fragmente erhalten und wurden 1934 von der Gottfried-Keller-Stiftung und Schweizer Alpen-Club erworben. (Kneubühl 1999). Heute sind diese im ALPS Alpines Museum der Schweiz ausgestellt.

Literatur und Internetquellen:

Kneubühl 1999

Urs Knaubühl, Aufstieg und Absturz - ein alpinistisches Drama, in: Die Alpen, 1999, H. 6

Müller 1934

Werner Müller, Ferdinand Hodler: «Aufstieg» und «Absturz», in: Die Alpen, 1934

Walls of Vision

https://www.wallsofvision.de/bisherige-werke/deraufstieg
[Abruf: 03.05.2024]