Schüler*innen gestalten ihre Schulfassade und beleben den Stadtteil mit künstlerischem Flair. Ihr Mural im Herzen der Bonner Südstadt lässt Claude Monet und Katsushika Hokusai miteinander in einen Dialog treten: Ein Zusammenspiel aus der großen Welle vor Kanagawa und der japanischen Brücke.
Bonner-Talweg, Clara-Schumann-Gymnasium. Auf den Straßen herrscht geschäftiges Treiben: Straßenbahnen gleiten rumpelnd über die Gleise, Busse und Autos rauschen dahinter die Straße entlang. Schreiende Schulkinder rennen an schwerbepackten Erwachsenen mit ihren täglichen Einkäufen vorbei und Fahrradklingeln pingen sich im Hintergrund den Weg frei. Mitten in diesem Trubel kreuzen sich die Wege der zwei weltbekannten Künstler Claude Monet und Katsushika Hokusai in einem Wandgemälde.
Jeden Tag fahren hunderte Pendler an diesem Mural vorbei, das seit 2022 die straßenseitige Wand an der Turnhalle des Gymnasiums verschönert – ein Projekt, das Menschen aller Altersgruppen zusammenbringt. Erste Ideen und Entwürfe wurden von Schüler*innen aus den damaligen Klassen 9c und 9d im Kunstunterricht erarbeitet. Als Ausgangspunkt diente das Schulbuch KUNST Bildatlas. „Die Schülerinnen und Schüler waren bei der Auswahl [der Werke] frei, wobei die Bilder so bekannt sein sollten, dass sie auch im modifizierten Zustand als Zitat funktionieren“, so Burkhard Stirnberg, der projektführende Kunstlehrer vom Clara-Schumann-Gymnasium.
Bei der Ideenentwicklung ließen sich die Schüler*innen von Klassikern aus verschiedenen Epochen inspirieren. In den Skizzen finden sich Auseinandersetzungen mit Paul Gauguins Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? (Abb. 1), Gustav Klimts Beethovenfries, der in einer Wellnessoase situiert wurde (Abb. 2), und auch mit der Erschaffung Adams aus den Fresken Michelangelos (Abb. 3). Aus den Entwürfen der Schüler*innen wurde jenes Zusammenspiel von Hokusais großer Welle und Monets japanischer Brücke von der Jury der Hans-Riegel-Stiftung ausgewählt, das wir heute sehen. Hierbei spielten der hohe Wiedererkennungswert der rezipierten Werke, das in der Umsetzung recht einfache Motiv und die kompositorischen Aspekte eine Rolle.
Zusammenarbeit bei der Ausführung des Murals
Die Umsetzung des Entwurfs wurde von der Bonner Agentur Highlightz zusammen mit den Schüler*innen während einer Projektwoche durchgeführt. Der Highlightz-Künstler Bastian Rupp setzte die monochrome Bleistiftzeichnung auf das neue Format um: so wurde der Entwurf auf das breite Format der Turnhallenwand angepasst und farblich ausgestaltet (Abb. 4). Alle beteiligten Schüler*innen wurden vom Agentur-Team mittels eines Workshops in die benötigten Techniken eingewiesen. Um das großformatige Mural an die Wand zu bringen, wurde das Motiv zuerst mit Pinseln grob skizziert und später die größeren Flächen mit Farbrollen koloriert (Abb. 6). Da der Zeitplan eng war, übernahmen die Highlightz-Künstler die Arbeit an den Details. „Somit konnten die Schülerinnen und Schüler selbst leider nur sehr wenig sprühen und wurden vornehmlich für die farbigen Grundierungen mit Rolle und Pinsel eingeteilt. Dies trübte ein wenig die Stimmung,“ erzählt der Lehrer. Letztendlich seien die Schüler*innen aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis. In den verwendeten Techniken finden sich die beiden Malstile der Künstler wieder: Monets impressionistischer Stil ist viel malerischer, daher auch in gröberen Pinselstrichen ausgeführt; Hokusais grafisches Holzdruckverfahren im Ukiyo-e Stil ist linear und flächig mit dem Sprühverfahren sowie den Farbrollen umgesetzt (Abb. 5).
Komposition: Zusammenführung verschiedener Elemente
Im Vordergrund steht die große Welle, die in Ihrer Umsetzung stark am Original Hokusais orientiert ist und lediglich an den Seiten gemäß der Wandlänge ergänzt wurde. Die kräftigen Blautöne des Wassers bilden einen leuchtenden Kontrast zu dem orange-gelben Himmel der Hintergrundkulisse: Monets japanische Brücke mit dem berühmten Seerosenteich. Bunt schimmern die Reflektionen des Himmels zwischen den Tupfen der Seerosen im dunklen Wasser unter der Brücke. Auch hier wird Monets Original an den Seiten durch zusätzliche Bäume ergänzt. Als neues Element wurde eine Figur im grauen Kapuzenpullover und mit rotem Regenschirm auf der Brücke platziert. Wie einen Schild hält sie den Schirm gegen die heranrauschende Welle, von der sie in der nächsten Sekunde überrollt zu werden droht. Die Linienführung der Welle vollführt zur Mitte hin eine geschwungene Aufwärtsbewegung, die durch die gebogene Brücke fortgeführt wird und dann wieder abfällt. Dieser dreiecksartige Aufbau der Welle stabilisiert die Komposition und macht sie von beiden Seiten für den Betrachter zugänglich – das Mural kann also von Autofahrern, Pendlern oder Radfahrern aus beiden Richtungen kommend gelesen und verstanden werden. Damit passt es sich an das gegebene Umfeld an und bewegt sich praktisch mit dem Verkehr.
Japonismus – Impressionismus trifft auf Ukiyo-e
Das Zusammentreffen der beiden Werke in dem Mural lässt sich auch historisch begründen. Obwohl sie unterschiedlichen Kulturen entstammen, die über Meilen durch das Meer getrennt sind, gab es eine Zeit, in dem sich die japanischen Holzschnitte hoher Beliebtheit bei den Künstler*innen in Europa erfreuten. Dies begann Mitte des 19. Jahrhunderts als Japan zum Handel mit dem Westen gezwungen wurde. So gelangen, zuerst als Verpackungsmaterial, japanische Drucke nach Europa, u.a. von Hokusai. Ukiyo-e, häufig mit “Bilder der fließenden Welt” übersetzt,[1] versucht die Natur in ihrer Vergänglichkeit einzufangen. Hokusais Welle stammt aus einer Reihe von Holzschnitten, den 36 Ansichten des Berges Fuji, welche den berühmten Berg zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten darstellt. Ebenfalls bemüht, die changierenden Farben der Natur je nach Licht in ihren Werken einzufangen, begeistern sich vor allem die Impressionisten für diese Werke, unter ihnen auch Claude Monet. Sie waren vor allem von der Aufwertung von Fläche und Farbe sowie der dynamischen Linienführung fasziniert. Heute weltbekannte Künstler*innen, wie Vincent Van Gogh, beginnen Holzdrucke in Öl zu kopieren und sich so den Ukiyo-e-Stil anzueignen. Damals bricht ein wahrer „Hype“ für die japanische Kultur aus, auch Japomanie genannt. Ganze Gärten werden in dieser Zeit nach japanischem Vorbild gestaltet – so auch der von Claude Monet in Giverny mit der japanischen Brücke. Tatsächlich war dieser Einfluss in der Kunst nicht einseitig, sondern vielmehr ein Austausch zwischen den Kulturen: Auch die westliche Kunst wurde in Japan eingehend studiert und rezipiert.
Das Ideal von Japan und seiner naturverbundenen Kultur, wie es in der Kunst dargestellt und vom Westen propagiert wurde, entsprach jedoch immer weniger der Realität. Hokusai fertigte seine Holzdruck-Reihe zum Berg Fuji in den 1830er Jahren an, doch auch in Japan bahnte sich die Industrialisierung ihren Weg und so schwanden die idyllischen Naturräume zusehends[2]. Die Flucht zurück in die Landschaftsmalerei im Zusammenhang mit der Industrialisierung ist also noch eine weitere Gemeinsamkeit, die Monet und Hokusai teilen.
Monet und Hokusai in der Streetart
Heute gehören die Werke dieser beiden Künstler zu den berühmtesten der Welt – kein Wunder also, dass sie im KUNST Bildatlas zu finden sind und von den Schüler*innen ausgewählt wurden. Auch in der Streetart wurden sie vielfach rezipiert. Wenn auch Monets japanische Brücke in der Geschichte der Murals eher selten auftaucht, so wurde sie doch von Banksy, dem wohl bekanntesten Streetart-Künstler rezipiert. In seinem Ölbild Show me the Monet wird die idyllische Natur durch einen im Seerosenteich liegenden Einkaufswagen gestört - eine wenig subtile Kritik an unserer Konsumgesellschaft.
Hokusais Welle hingegen ist in der Streetart ein beliebteres Motiv; weltweit zieren Murals die Wände diverser Städte, darunter London, Moskau, Hamburg und seit 2022 auch Bonn. Die vielfache Rezeption der Welle liegt in ihrer großen Anpassungsfähigkeit begründet: sie nutzt eine universelle Bildsprache und kann daher mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen werden.[3] In London gibt es mehrere Murals, die die Welle von Hokusai zitieren. Carrie Reichardt baute die Welle in ein Mosaik auf der Rückseite ihres Hauses ein (Abb. 7) und Dominic Sword wählte sie als Motiv für ein Mural im Rahmen eines Nachbarschafts-Projekts. Reichardt kritisiert den Umgang mit People of Color in den amerikanischen Gefängnissen und wählte Hokusais Welle, um die Welle des Wandels durch die Vereinigung vieler gegen diesen Missstand zu verbildlichen.[4] Dagegen erstreckt sich die Welle in Moskau über mehrere Gebäude an den Fassaden von Etalon City: hier soll sie den internationalen Geist und die Handelsschifffahrt darstellen, die die Erdteile miteinander verbindet.
Das Bonner Mural im Kontext
Wellen und Brücken – zwei Motive, die sich mit ihrer leicht verständlichen Ikonografie gut für den öffentlichen Raum eignen und mit Bedeutung aufgeladen werden können. Dies macht sich auch das Bonner Mural zunutze und reiht sich damit in die Tradition der Streetart ein. Es ist ein Zusammenspiel beider Werke, das nicht nur kompositorisch und ästhetisch wirkt, sondern auch kunsthistorisch verwurzelt ist. Bereits der Austausch zwischen Impressionismus und Ukiyo-e schlägt eine Brücke zwischen zwei Kulturen und schafft eine Synthese, die sich zu etwas Neuem entwickelt, was sich auch im Entstehungsprozess des Murals an der Schulwand niederschlägt. Die Zusammenarbeit zwischen Stiftung, Agentur und Schüler*innen ist gut gelungen, wie auch die Reaktionen auf das Mural zeigen. Nach dem projektführenden Lehrer schreibt: „[…] die Schülerinnen und Schüler sehr zufrieden mit dem Projekt und dem Ergebnis und haben durch die Schulgemeinschaft, aber auch durch die Öffentlichkeit sehr viel Zuspruch, auch schon während des Arbeitsprozesses, erhalten. Gerne mit Fortsetzung…“.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Alisa Freedman, Nagai Kafu, & Kyoko Selden: Ukiyo-e Landscapes and Edo Scenic Places, in: Review of Japanese Culture and Society 24, 2012, S. 210.
[2] Vgl. Amir Lowell Abou-Jaoude: A Pure Invention. Japan, Impressionism, an the West, 1853-1906, in: The History Teacher 50, 2016, H 1, S. 58.
[3] Christine M. E.: Guth Hokusai’s Great Wave. Biography of a Global Icon, Honolulu, 2015, S. 2. Sie schreibt: „It draws attention to the border-crossing movement of ideas, people, technologies, capital, and commodities as well as to the creative cultural exchanges that may accompany them.“
[4] Vgl. ebd. S. 182-183.