Was machen die Kühe auf dem Eis?

Kreativer Umgang mit einem Bunker

Blogbeitrag von Matthias Scholten, Studentin der Kunstgeschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Werk: „Winterlandschaft mit Eisvergnügen“ - Interpretation des historischen Kunstwerks "Winterlandschaft mit Eisvergnügen" von Aert van der Neer (um 1603–1677) auf dem Hochbunker Bonn-Poppelsdorf

Noch ein Schritt, schon stünde die zweite Kuh auf dem Eis. Wohin will die Herde im Vordergrund eigentlich? Und die bereits auf dem Eis befindliche Kuh muss schleunigst wieder festen Boden unter die Hufe bekommen. Ein paar herumtollende Kinder mag die Eisschicht vielleicht tragen, aber eine Kuh?

Folgt man im Poppelsdorfer Stadtteil der Trierer Straße, zwingt einen die gebogene Straßenführung förmlich dazu, mit dem Blick den dreigeschossigen Stahlbetonbau zu streifen. Dieser bunkertypische Betonquader prägt seit 1941 den westlichen Straßenzug. Lange Zeit mit seiner mehr oder weniger charmanten Stahlbetonfassade und einigen ausdrucksstarken Farbakzenten, die man auch als Schmierereien bezeichnen kann (Abb. 2).

Im Herbst 2022 veränderte sich allerdings etwas. Der Urban Artist Case Maclaim begann damit, dem Bunker sein heutiges Erscheinungsbild nach der Vorlage eines Gemäldes des Künstlers Aert van der Neer (um 1603-1677) zu verleihen (Abb. 1). Er nahm Ergänzungen und Anpassungen vor und bevölkerte das Mural mit einer Herde von Kühen. Einen langlebigeren Bildträger hätte er sich für seine Arbeit kaum aussuchen können.

Der Bildträger: Zur Geschichte des Hochbunkers in Bonn-Poppelsdorf

Entstanden ist dieser Hochbunker im Zuge des sog. Führer-Sofortprogramms, in dessen Rahmen die Stadt Bonn zu einem Luftschutzort der 1. Klasse erhoben wurde und mit 14 Luftschutzbauten für die Bevölkerung ausgestattet wurde. Eine Wandstärke von 4,7 m und 1,5 m starken Decken gewährleisteten die Sicherheit der 724 Schutzsuchenden, die der Bunker aufnehmen konnte. Der Komplex überstand den Krieg ohne nennenswerte Beschädigungen.

Nach dem Krieg erfuhr der Hochbunker einen Funktionswandel. Der Universitätsbetrieb lief zum Wintersemester 1945/46 wieder an und da im Innenstadtbereich 95% des Wohnraumes zerstört worden war, wurde kurzerhand der Bunker zum kostengünstigen Wohnraum für männliche Studierende umfunktioniert. Trotz des niedrigen Komforts (es gab lediglich einen Waschraum) war der Zulauf enorm. Für ein Drittel der üblichen Miete hatte man ein stabiles Dach über dem Kopf  und  die Ansprüche an die Unterkunft in der Nachkriegszeit waren eher niedrig. Während die Stollen im Erdgeschoss als Wohnquartiere genutzt wurden, waren die beiden oberen Etagen als Zufluchtsort für die Bonner Stadtverwaltung im Fall eines erneuten militärischen Konfliktes vorgesehen.

Im Jahr 1996 regte Peter Riemann, Architekt und Leiter der Technischen Hochschule Köln, unter seinen Studierenden einen Ideenwettbewerb zur Neunutzung des Baukörpers an. Die Konzepte sahen nicht einfach eine Bebauung der Bunkerdächer vor, sondern integrierten diesen entweder in einen groß angelegten Wohnkomplex oder aber schufen einen Konzertsaal durch das Aufsetzen eines gläsernen Sarkophags. Umgesetzt wurde allerdings keines der Konzepte, derartig umfassende Eingriffe in die Bausubstanz wären sowohl denkmalkonservatorisch, vor allem aber finanziell nicht umsetzbar gewesen. Erst 2006 erteilte die Stadt einem Investor die Erlaubnis, auf dem Dach des Bunkers zwei Doppelhäuser zu bauen, um so dem Kriegsrelikt ein neues Leben zu geben.

Die aktuelle Besitzerin des Bunkers versuchte mehrfach eigeninitiativ, verschiedenartige Projekte in dem Komplex anzusiedeln. Dabei war es gar nicht intendiert, in ihrem Leben einen Bunker zu erwerben. Was sich manchmal nicht so alles aus dem beiläufigen Kommentar eines Maklers ergeben kann! Das Wohnhaus auf dem Dach war ein erster Schritt, aber was wird aus dem Bunkerinneren? Wie heute ersichtlich, hat ein Wandel am Gebäude stattgefunden und das hängt nicht zuletzt mit einem uralten Gemälde zusammen.

Kühe in der Winterlandschaft

Des Gemälde Winterlandschaft mit Eisvergnügen (Abb. 1) des niederländischen Künstlers Aert van der Neer zeigt eine winterlich verschneite Landschaft. Durch eine Ortschaft windet sich ein zugefrorener Fluss, auf dem Erwachsene und Kinder mit Schlittschuhen dem Vergnügen des Eislaufens nachgehen. Was hier im Ursprung als heitere Beschäftigung dargestellt wird, wurde von der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ des 17. Jahrhunderts verursacht. Diese führte zu Ernteausfällen und Lebensmittelengpässen in einer ohnehin durch religiöse und politische Konflikte gepeinigte Zeit. Ein herausforderndes Ausmaß an existenziellen Bedrohungen, welche in Aert van der Neers Gemälde vor dem Vergnügen im winterlichen Treiben zwar in den Hintergrund geraten, nichtsdestotrotz aber auch in unserer Zeit in Form der Klimakrise präsent sind. Die Frage „Wie tragfähig ist das Eis wirklich?“ stellt sich nicht unbedingt für das niederländische Vorbild, sondern viel dringlicher im Zusammenhang mit der Neuinterpretation an der Bunkerwand.

Vision und Future

Die Initiative, die Bunkerfassade als Teil des Projektes Walls of Vision neu zu gestalten, ging von der Dr. Hans-Riegel-Stiftung aus, mit der Zielsetzung Kunst im öffentlichen Raum sichtbar zu machen (Abb. 3). Im Ergebnis vollzog sich ein Wandel in der Wahrnehmung des Gebäudes. Mit verschiedenen Lehreinrichtungen, Kunstschaffenden und Geschichtsinteressierten erwuchs ein reger Austausch. Der Bunker soll in Zukunft nicht nur ein Denkmal sein, vielmehr ein Kulturort – so die Planung. Unter Abstimmung zwischen der Besitzerin und der Stiftung wird aktuell der Versuch unternommen, den Bunker räumlich nutzbar zu machen. Dafür werden Teile des Komplexes renoviert und sollen ab Ende 2024 als Ausstellungsfläche zu einem Ort des kreativen Austausches und des gemeinsamen Erlebens werden. Das Mural aber ist Ausdruck einer allgemein gültigen Aufforderung zum Dialog und der Auseinandersetzung mit Problemen. Denn eines ist sicher: Die Zukunft wird mit weiteren Herausforderungen auf uns zukommen.

Also fragen Sie sich: „Was machen Sie mit der Kuh auf dem Eis?“

Literatur und (Internet)quellen:

Ein Austausch per Mail mit der Besitzerin des Hochbunkers in Bonn-Poppelsdorf Frau Ira Storck im Frühjahr 2024

Bothien, Horst-Pierre, Stang, Erhard: Bonn im Bombenhagel, 18. Oktober 1944. Gudensberg-Gleichen 2004

„Bunker des Zweiten Weltkriegs in Bonn”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-276746 [Abruf: 03.03.2024]

Hampe, Erich: Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt am Main 1963, URL: http://download.gsb.bund.de/BBK/Hampe/01_Titel_Inhaltsverzeichnis_S_XVI.pdf [Abruf:  03.03.2024]

George, Christian: Die Bonner Studenten in den Nachkriegsjahren (1945–1955). In: Thomas Becker u.a. (Hg.): Bonna Perl am grünen Rheine. Bonner Schriften zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Online, Bd. 5, 2013, S.172-173

George, Christian: Studieren in Ruinen. Die Studenten der Universität Bonn in der Nachkriegszeit (1945 - 1955). (Bonner Schriften zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Göttingen 2010

„Hochbunker in Poppelsdorf”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-276728 [Abruf: 02.03.2024]

Kieser, Marco: Inventarisation von Hochbunkern und anderen Luftschutzbauten aus dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren 2012-2017. In: Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege, 2018, S. 34-52

Rolf Kleinfeld: Überleben im Poppelsdorfer Studentenbunker. Bonner General-Anzeiger, 25. März 2011